(verpd) Ob ein Beschäftigter ohne vorherige Abmahnung wegen der Beleidigung seines Vorgesetzten fristlos entlassen werden darf, hängt grundsätzlich von den Umständen des Einzelfalls ab. Das hat das Landesarbeitsgericht Rheinland-Pfalz in einem jüngst veröffentlichten Urteil entschieden (Az.: 2 Sa 232/11).
Dem Urteil lag die Klage eines seinerzeit 35-jährigen Beschäftigten zugrunde, der seit 18 Jahren für seinen Arbeitgeber tätig war. Er war wegen einer Krankschreibung mit seinem unmittelbaren Vorgesetzten aneinandergeraten und deswegen fristlos entlassen worden.
Unflätige Wortwahl
Der Kündigung ging ein Streit voraus, in dessen Verlauf der Kläger seinem Vorgesetzten wörtlich sagte: „Wenn Sie schlechte Laune haben, dann wichsen Sie mich nicht von der Seite an.“ Kurz darauf bezeichnete der Kläger seinen Vorgesetzten gegenüber einer Kollegin sowie einem Kunden wiederum als „Wichser“.
Diese Äußerungen reichten dem Arbeitgeber aus, um den Kläger fristlos vor die Tür zu setzen. Zu Unrecht, befanden sowohl die Richter des Arbeits- als auch ihre Kollegen des Landesarbeitsgerichts. Beide Instanzen gaben der von dem Mann eingereichten Kündigungsschutzklage statt.
Die Richter kamen nach einer eingehenden Beweisaufnahme zu dem Ergebnis, dass der Kläger zwar abgemahnt, nicht jedoch hätte entlassen werden dürfen.
Kündigungsdrohung
Wie so oft im Leben hatte die Sache nämlich zwei Seiten. Nachdem der Kläger am Tag des Zwischenfalls einen Arzt aufgesucht hatte, war er zu seinem Vorgesetzten gegangen, um ihm eine Krankschreibung zu überreichen.
Von diesem wurde er jedoch in barschem Ton mit den Worten abgewiesen, sich vom Betriebsrat über die korrekte Vorgehensweise bei einer Krankschreibung beraten und helfen zu lassen.
Nach Ansicht der Richter handelt es sich bei dieser Äußerung aus Sicht eines objektiven Betrachters nicht etwa um einen wohlgemeinten Rat, sondern um eine deutliche Kritik, die man, wie vom Kläger vorgetragen, durchaus als Androhung einer Kündigung verstehen konnte.
Erhebliche Ehrverletzung, aber …
Diese Kritik war jedoch auch aus der Sicht des Gerichts völlig unberechtigt. Denn der Kläger hatte nichts anderes gemacht, als seinen Vorgesetzten pflichtgemäß unverzüglich darüber zu informieren, dass er von seinem Arzt krankgeschrieben worden war.
Die Richter bestritten zwar nicht, dass sich der Kläger mit seinen Äußerungen einer erheblichen Ehrverletzung eines Vorgesetzten schuldig gemacht hatte, die an sich eine fristlose Entlassung gerechtfertigt hätte. Angesichts der vorausgegangenen unberechtigten Kritik hielten sie seine Reaktion jedoch für bedingt verständlich.
Unter Berücksichtigung der Tatsache, dass der Kläger zum Zeitpunkt des Zwischenfalls seit 18 Jahren ohne wesentliche Beanstandungen für seinen Arbeitgeber tätig war, hätte er daher nicht fristlos entlassen werden dürfen. In diesem Fall wäre vielmehr eine Abmahnung ein ausreichendes Mittel gewesen, um den Kläger zu disziplinieren. Seiner Kündigungsschutzklage wurde daher stattgegeben.
Kein Freibrief
Das Gericht betrachtet seine Entscheidung nicht als Freibrief für die Beleidigung von Vorgesetzten und Kollegen. In dem Urteil heißt es dazu abschließend:
„Die Kammer stellt ausdrücklich klar, dass das Verhalten des Klägers nicht sanktionslos hingenommen werden muss.
Lediglich die Prüfung der Frage, ob die außerordentliche Kündigung als einzig mögliche und vertretbare Reaktion angemessen war, war im Berufungsverfahren zu entscheiden. Dies ist nicht der Fall.“
Gerichtliche Auseinandersetzungen mit dem Arbeitgeber
Wer sich von seinem Arbeitgeber ungerecht behandelt fühlt, muss zwar nicht immer alles klaglos hinnehmen. Allerdings müssen Arbeitgeber und Arbeitnehmer bei einem gerichtlichen Arbeitsrechtsstreit in der ersten Instanz unabhängig vom Ergebnis die jeweiligen Kosten selbst tragen.
Auch dann, wenn der Arbeitnehmer, wie in dem aufgezeigten Fall, den Rechtsstreit gewinnt, müsste er seine Anwalts- und anteiligen Gerichtskosten selbst bezahlen. Dennoch muss man nicht aus finanziellen Gründen grundsätzlich auf sein Recht verzichten.
Denn eine bestehende Privat- und Berufsrechtsschutz-Police übernimmt im Versicherungsfall die Kosten für derartige, aber auch für zahlreiche andere Streitigkeiten. Mehr Informationen hierzu gibt es bei einem Versicherungsexperten.